Wenn wir den Neuen Atheisten heute zuhören, würden wir nie auf die Idee kommen, dass die moderne Naturwissenschaft ursprünglich von Christen entwickelt wurde. Zwei Franziskanermönche, Roger Bacon (ca. 1214 bis ca. 1294) und Wilhelm von Ockham (ca. 1285 bis ca. 1350), legten die empirischen und methodologischen Grundlagen für wissenschaftliches Arbeiten. Francis Bacon (1561–1626) etablierte und popularisierte sie. In seinem Essay »Of Atheism« schrieb er: »Oberflächliches Philosophieren freilich verführt den menschlichen Geist zur Gottesleugnung, allein tieferes Eindringen lenkt ihn zur Religion zurück.«1 Robert Boyle (1627–1691), dessen Name im boyleschen Gesetz verewigt ist, war ein weiterer wichtiger Akteur in der Geschichte der Naturwissenschaft. Boyle war ein gläubiger Christ, der sich für Evangelisation und die Übersetzung der Bibel einsetzte. Er erwog, Pfarrer zu werden, entschied aber, dass er Jesus als Wissenschaftler besser dienen konnte.
Aber ist es vielleicht nur Zufall, dass die moderne wissenschaftliche Methode ursprünglich von Christen entwickelt wurde?
Im historischen Christentum schätzte man das Geistesleben. Mittelalterliche Klöster waren Zentren für akademisches Studium. Die ersten Universitäten entstanden aus der Notwendigkeit, Priester auszubilden.2 Oxford und Cambridge – und später auch Universitäten wie Harvard und Yale – wurden ausdrücklich als christliche Institutionen gegründet.3 Doch das frühe moderne Europa war nicht der einzige Ort intellektuellen Strebens. China und Teile der islamischen Welt waren in mancherlei Hinsicht technisch fortschrittlicher und schätzten ebenfalls den Wert akademischen Arbeitens. Warum also wurde die moderne Naturwissenschaft im christlichen Europa erfunden?
Der international anerkannte Wissenschaftsphilosoph Hans Halvorson, Professor in Princeton, vertritt die These, dass es einen inneren Zusammenhang zwischen dem theistischen und dem naturwissenschaftlichen Weltbild gibt. Naturwissenschaftler suchen nach natürlichen Ursachen für natürliche Phänomene, nicht nach göttlichem Eingreifen in einem Reagenzglas. Doch Halvorson betont, dass diese Methode nicht aus dem Atheismus stammt. Im Gegenteil, die ersten Naturwissenschaftler glaubten, dass unser Universum von Gott entworfen und geschaffen wurde, und zwar »nach einem Bauplan, der von rationalen Wesen wie uns verstanden werden kann«. Da Gott frei war, so zu erschaffen, wie er wollte, »ist die empirische Untersuchung der einzige Weg, den Bauplan der Schöpfung zu entdecken«4. Und so argumentiert Halvorson, dass der Theismus immer noch eine bessere philosophische Grundlage für die Naturwissenschaft bietet als der Atheismus. Der Atheismus bietet aus sich selbst heraus überhaupt keine Grundlage für die Naturwissenschaft.5 Das bedeutet nicht, dass Atheisten keine hervorragenden Naturwissenschaftler sein können. Viele sind es. Doch ebenso wenig wie der Atheismus eine Grundlage für unsere ethischen Überzeugungen liefern kann, kann er auch unsere Wissenschaft nicht begründen.
[Der Artikel ist ein Auszug aus Rebecca McLaughlins Buch Kreuzverhör – 12 harte Fragen an den christlichen Glauben (Tenet, 2022; alle Rechte vorbehalten)]
Endnoten
1 Vgl. Francis Bacon, Über den Atheismus, in: Essays, Bremen 1980, 53.
2 Auch wenn die Hochschulen außerhalb des mittelalterlichen Europas zuweilen als »Universitäten« bezeichnet werden, argumentiert der Historiker Jacques Verger, dass sie dies nicht wirklich waren. Vgl. Verger, »Grundlagen«, in: Walter Rüegg (Hrsg.), Geschichte der Universität in Europa, Band 1, Mittelalter, München 1993, 56.
3 Das Motto von Harvard lautet beispielsweise »Veritas Christo et Ecclasiae« (»Wahrheit – für Christus und die Kirche«).
4 Hans Halvorson, »Why Methodological Naturalism«, in: Kelly James Clark (Hrsg.), The Blackwell Companion to Naturalism, Chichester 2016, 142.
5 Der Philosoph und Atheist Alex Byrne am MIT bemerkt: »Der Atheismus geht Hand in Hand mit der Überzeugung, dass die Wissenschaft so gut wie nichts über das Wesen der Wirklich- keit aussagt; weder über irgendeine beliebige Auffassung von Moral noch über die Natur des Menschen noch über sonst irgendwas.« Vgl. Alex Byrne, »Is Atheism a Worldview?«, The Veritas Forum (Video), 19.09.2016, https://www.youtube.com/ watch?v=oeynhmPHqB4.